Was bisher geschah.

 

22. Juni: Rückfahrt, linksrum.

 

Bevor es mit der Reise weiter geht, noch etwas zu dem Thema Technik. Heute die Frage: „Wie frisiere ich einen 280S?“

Unser bekanntes Maskottchen Sprotzeline ist bekanntlich ein Mädel. Und Mädels brauchen ihre ordentliche Morgentoilette! Das heutige „Quiz du Jour“ kann daher lauten:

Heisst es:

-        Das Sprotzel?

-        Der Sprotzel? oder

-        Die Sprotzel?

Ich bin für „Die Sprotzel“. Seit Hammerfest zum allmorgentlichen Ritual geworden, ist das übertriebene Auflegen von Haarspray auf den Keilriemen. Seitdem pfeift „Der Sprotzel“ auch nicht mehr den Frauen hinterher, was sich hier in Kirkenes durchaus lohnen könnte.

Ein von hier aus möglicher Abstecher nach Murmansk (nur 250 km), wird verworfen, da wir Sprotzel stehen lassen müssten.

 

 

Stattdessen geht es planmäßig nach Finnland. Das Land der tausend Seen. Wir überfahren die Grenze auf einer Nebenstrasse und ohne einen Finnen zu sehen, lernen wir gleich deren praktische Pragmatik kennen. An der finnischen Grenze stehen lediglich mehrere Masten mit einem dutzend Überwachungskameras. Drei km weiter dann eine Ampel mit multiplem Verkehrsschild. Da drauf stehen dann solche Sachen wie „Bitte rechts ran fahren“ oder „Ausweis und Fahrzeugpapiere bitte bereit halten“. Und das Ganze wahrscheinlich noch auf Finnisch, Samisch und Russisch, wie auf allen Verkehrsschildern in dieser Gegend.

 

Für uns ist „Grün“ und wir reisen mit „roter Nummer“ ein.

 

 

Flora und Rentiere werden langsam immer grösser und die Baumgrenze ist auch schon wieder auf 250 m. Einen der ersten 188tausend Seen nutzen wir zu einem Fotostopp und rücken Sprotzel bestens ins Bild.

 

Um den Schraubern unter unseren treuen Lesern mal wieder Anregungen zum Basteln zu geben, nehmt nebenstehendes Bild als Anleitung, wie man sein Auto ganz einfach tieferlegen kann. Das geht nicht nur in Pisa oder Tammanrasset, sondern auch hervorragend im feinen Sand der finnischen Seenlandschaft.

 

 

An dieser Stelle danke ich Werner, Andreas, Gerd, Ingo und Hartmut, die ein solches Fortbildungsseminar bereits belegt haben und von dessen Erfahrungen ich nun hoffentlich profitieren kann.

 

Sandbleche aus Nadelholz sind dank vorhandenem Beil schnell geschnitzt. Ein Edelstahlspaten (the utility formerly known as „Topfdeckel“), ein 6-Tonnen Wagenheber vom heavytool Fachgeschäft „real“ in Moers und ein paar benzinimprägnierte Arbeitshandschuhe aus China runden das vorhandene Werkzeugsortiment ab.

 

Somit endet dieses Kapitel mit den heutigen „Quiz du Jour“.

Wo übernachten wir jetzt:

-        am See im Zelt und das Abendessen knirscht

-        am See im Zelt und das Abendessen knirscht und es regnet

-        im Wald in einer 100 m² Blockhütte mit offenem Kamin und Sauna

 

 

23. Juni 2009: Verräuchert im Wald

War doch irgendwie klar: ein guter Blog braucht eine gute Hytte. Es war natürlich die Bloghytte! Auch wenn wir die Hilfe eines freundlichen samischen Ehepaars benötigt haben. Aber immerhin ohne weiteres technisches Zubehör. Ein bisschen Übermut wird eben auch mit ein bisschen Arbeit belohnt. Und es lag nicht an den Saunagängen, dass uns noch zwei Tage ein leichter Muskelkater an das selbstgebastelte Abenteuer erinnert hat. Das geschulte Ohr vernimmt auch keine mahlenden Lagergeräusche und der Sand hat wohl die restlichen Undichtigkeiten im Ölkreislauf von selbst repariert. Die teuren vier Liter Öl aus Hammerfest bleiben fürderhin unberührt und ich werde mich mit der Heimatredaktion wohl auf eine Diskussion über „Dichtung und Wahrheit“ einlassen müssen.

 

Aber ein kleiner Wehmutstropfen soll nicht verschwiegen werden. Finnische Kaminbauer haben in meinem Schlafzimmer kein Meisterwerk hinterlassen, der Rauch zieht nicht durch den Kamin, er verqualmt mir die Klamotten und hinterlässt für Tage einen Geruch, der Stechmücken vertreiben könnte (man beachten den Konjunktiv).

 

 

 

Unterwegs sieht man bei jedem kleinen Städtchen gleich eine Sprungschanze. Während Audi Quattrofahrer noch an der Seilwind hochgezogen werden, brechen wir den Schanzenrekord von 280 m.

 

Die Drivingrange an der Europastrasse bietet Golfvergnügen mit brandneuen Mizuno-Eisen. Während Christian versucht, die Bälle hinten über das Rangeende zu schlagen, schaffe ich das mit dem Driver mit spielerischer Leichtigkeit. Zu meiner Schande aber nicht hinten raus, sondern rechts, aufs Fairway des ersten Greens.

 

So ganz ohne Waschen kommt Sprotzel dann doch nicht aus. Ab und zu wischen wir den Feinstaub vom Heck und kontrollieren alle zwei Tage die Luft im Reifen hinten Links.

Im Hintergrund gut zu erkennen: Als die Finnen das Schreiben erfunden haben, waren Buchstaben im Sonderangebot. Wir spielen das YY-Spiel: derjenige, der ein Wort mit zwei aufeinanderfolgenden „Y“ sieht, erhält einen Punkt. Mit „Ä“ oder „Ü“ wäre das zu einfach. Mit „Tehtaanmyymälä“ kann ich zum 2:1 verkürzen. Christian gewinnt in Helsinki mit 8:5 und wird König in Tallin.

 

 

Ca. 130 km vor Lahti (was nichts anderes heißt als „Bucht“) folgen wir einem kleinen Angelzeichen und biegen links ab. Nach drei km beginnt endlich die typisch finnische Dirtroad und Sprotzel bekommt endlich ein wenig Patina. Wird aber auch Zeit nach 6000 km.

 

Nach 10km ohne weiteres Angelschild werden wir schon stutzig, als plötzlich rechter Hand ein Parkplatz ausgeschildert ist und wir Fischzuchtbecken entdecken.

 

Doch die Freude wird schnell getrübt, denn wir suchen vergeblich für uns lesbare Hinweisschilder an den weit verstreuten Häusern der näheren Umgebung. Der See etwas abseits der Zuchtbecken sieht ideal aus. Aber woher nehmen wir die Angelerlaubnis? Wir fahren die kleine Abzweigung noch zwei km weiter. Nur zwei Wohnhäuser an der Strasse. Die Bewohner verstehen unsere Frage und antworten auf finnisch. Da uns das nicht weiterhilft, fahren noch mal zurück zum See und schauen alles noch mal genau ab. Unerlaubt Angeln muss nicht sein. Aber wenn man nicht weiß, wie es funktioniert und nicht finnisch kann….

 

Wir entscheiden uns, zurück zur Hauptstrasse zu fahren. Uli´s Navi kennt die kleinen Waldwege alle, die hier Namen haben und eigentlich ganz normale Strassen sind.

 

Wir fahren noch langsam an einem Wohnhaus vorbei. Aus dem gegenüberliegenden Geräteschuppen kommt ein Mann in Badehose heraus. Und der Schuppen aus dem er kam war wirklich keine Sauna. Auch wenn es noch keine 20°C hat und die Sonne scheint, saugt der Finne gerne jeden Strahl ein.

 

Ich fange erst mal mit der Frage an: „Do you speak English?“ Juhu! Ein „Yes!“ wird mir erwidert. Zwei Minuten später steht Juha mit uns vor einem Holzkasten und erklärt uns, wie der kopierte Zettel auszufüllen ist, der mit Geld in einen Umschlag kommt. Umschlag einwerfen und man darf maximal 10 Fische bis 23 Uhr aus dem Teich ziehen.

 

Und als hätte Finnland nicht schon genug positive Wendungen bereitgehalten, bietet uns Juha auch noch an, die Fische – falls wir erfolgreich sind – zu räuchern. Und das in einem hervorragendem Deutsch! Da hat das finnische Schulsystem wieder mal Bestnoten im Pisatest abgeräumt.

 

 

Es folgen fünf Stunden Vergnügen pur. An die Angel wird ein Blinker aufgeteet und es geht los. Klar, der König von morgen ist derjenige, der die meisten Fische aus dem Teich zieht. Die scheinen sich schon auf den Räucherofen zu freuen und hüpfen mal hier – mal da – munter aus dem See.

 

Während Christian den nordnorwegischen Fjordblinker an der Angel hat, probiere ich es mit Leuchtköder und Gummifischlein.

 

Sofort werden die unterschiedlichen Taktiken klar. Während ich es mir mit Klappstuhl und etwas lauwarmer Apflesaftschorle bequem mache (we really run out of beer), wandert Christian langsam um das Gewässer.

 

Die ersten zarten Anbisse hatten wir beide nach wenigen Minuten. Dann der erste härtere Kampf. Ich erinnere mich an meinen österreichischen Angellehrer Toni, auch wenn ich mich nicht daran halte, leise zu sein und ein paar Bierchen nebenher zu trinken. Ich muss beim nächsten Biss noch kräftiger anreißen. Während ich dies versuche um zu setzen, ein kurzer Jubelschrei am anderen Ufer. Fünf Minuten später kommt Christian mit der ersten 1,5 kg schweren Lachsforelle. Nach weiteren 15 Minuten kommt er mit dem nächsten an.

 

Ich mache mir Gedanken über die Wahl meines Köders. Meinen bequemen, sonnig warmen Platz will ich aber nicht aufgeben. Christian bezahlt schon jetzt teuer die offensichtlich gute Stelle am anderen schattigen Ufer mit jeder Menge Mückenstichen. Diese Viecher verlieren mit jeden Kilometer, den wir uns Richtung Süden bewegen, an Trägheit, während ihr Gespür für unprotektierte Hautstellen stark zunimmt.

 

Als ich mich bücke, als ich kurzzeitig zum 2:1 aufhole, um den Haken aus dem Maul der Forelle zu ziehen, entdeckt sofort ein Abgesandter der Zweiflügler mein Bauarbeiterdekolleté. So gefährlich ist Bücken sonst nur noch im Männerknast, wenn einem die Seife in der Dusche runterfällt.

 

Christian zieht derweilen eine Forelle nach der anderen heraus und entkommt schnell uneinholbar auf 6:1. Danach nimmt er es sportlich und – verstochen wie er ist – gesellt er sich zu mir in die Sonne, wo er mir meine anvisierte Anke vor der Nase wegfängt, als ich gerade meinen zerbissenen Köder wechsle.

 

 

Nach über vier Stunden denken wir ans Aufhören. Doch was ein rechter Schwabe ist: Zwei dürfen wir noch rausholen.

 

„Lieber Schwitzen als Kratzen“ denke ich mir und vermumme mich, als wir auf die andere Seite des Sees wandern. Hier, wo im klaren Wasser die Fische auf trübe Gedanken kommen (offensichtlich haben sie ausreichend suizidale Tendenzen aus dem Winterhalbjahr herübergerettet) fliegen unsere Köder gleichzeitig und einmalig ins Wasser und schon saust der Holzknüppel auf 2 Fischköpfe herab. Wir sind am Anschlag.

 

Als wir zusammenpacken kommt gerade Juha mit seinem Vater vorbei und bestaunt unsere Ausbeute. Wir fahren zu seinem 150 m entfernten Häuschen im Grünen und er erweitert sein Angebot und offeriert uns eine „Cabin“, in der wir übernachten können.

 

Während Christian die Drecksarbeit übernimmt und die zehn Lachsforellen ausnimmt, salze ich die Fische. Der rauchige Ton, den meine Kleider in der Blockhütte angenommen haben beginnt nun auch noch zu fischeln.

 

Bevor um 21 Uhr die Läden am Sonntag zumachen, erklärt mir Juha den Weg zum nächsten Bier. Er empfiehlt mir den 24er Pack, deren Wellpappekoffer ich aus Detroit kenne und mache mich mit Sprotzel alleine auf den Weg.

 

 

Auf der Hinfahrt habe ich mir eine Kuppe und eine leicht geschotterte Linkskurve gemerkt, die mir nun als Rechtskurve getarnt finnische Rallyefahrfreude beschert. Als ich mit Sprotzel beim Laden vorfahre mustern mich die Dorfältesten. Da passt was nicht zusammen: Deutsches Auto, rotes Kennzeichen mit ES-… ein Estländer? Ich dagegen sehe glücklich und abgetakelt zugleich aus und rieche nach Finne. Rauchiges Buchenholz und Fisch.

 

 

 

Es beginnt wohl eine mit Weisheiten schwangere, abgeklärte Diskussion, ähnlich der im „Asterix auf Korsika“. Kurz darauf habe ich rechts und links 24 Dosen Bier in den Händen und man spricht mich laut lachend auf finnisch an. Verstanden habe ich nichts, doch der Inhalt der Worte war mir klar. Die logische Abfolge könnte lauten: großes Auto, großer Kerl, großer Durst.

 

 

 

Ich antworte auf englisch, das nur ein Bierkoffer für mich ist. Es dauert nur einen kurzen Moment der Stille bis offensichtlich eine Simultanübersetzung vorliegt, dann schallt mir wieder laut lachend der freundliche Gruß auf ein fröhliches Julfest entgegen. Das hab ich ausnahmsweise verstanden. Mein „Ebenso fröhliches Julfest“ (diesmal auf schwäbisch) entgegne ich bereits, als ich mit Sprotzel schon wieder vom Hof fliege.

 

Die Entfernung hat mir Juha in der amerikanischen Einheit viertel Stunde, one way angegeben. Ich wollte nach 20 Minuten zurück sein und verfehle mein Ziel nur knapp. Wie ich bei meinem letzten Anbiss (der aufmerksame Leser weiß bereits, dass ich 8:2 verloren habe) gemerkt habe, war die Forelle voller Rogen. Diesen haben Juha und Christian in einem Glas gesammelt. Fein gehackte Zwiebel dazu, leicht salzen.

 

In Finnland heisst das „Mäki“. Es ist die leckerste Vorspeise am längsten Tag des Jahres, die wir in Havumäki (Havu= Tanne; Mäki=Wald) geniessen.

 

 

 

Juha hat hinter dem Haus eine kleine Partyhütte. Die Hütte hat in der Mitte eine kleine Feuerstelle, einen Kamin gibt es nicht. Meine blockhüttenverrauchten Textilien aus Nordfinnland erhalten ihren alten Geschmack wieder. Auch als uns Juha in seinem Haus die selbstgebauten Gitarren zeigt, bemerke ich den buchigen Geruch, obwohl es gar keine Buchen gibt. Das Tiefdruckgebiet der letzten Tage zeichnet sich dafür verantworlich.

 

Und überhaupt ist hier alles sehr rudimentär und näher an menschlichen Bedürfnissen, als zu Hause. Eine Plastiktoilettenbrille auf das Loch eines Fichtenholzbrettes, ein selbst gegrabener Tiefbrunnen hat bestes Wasser. Mit Pumpe und Boiler ist ziviler Standard erreicht. Schnickschnack ist überflüssig.

 

Und ebenso einfach erklärt uns Juha die Finnen:

 

Was machen die Finnen im Sommer?

-        Sie Fischen und Bumsen!

Was machen die Finnen im Winter?

-        Sie gehen nicht Fischen!

     

Als Hauptgang kommen die Daimen (finnisch für Lachsforelle) aus der Smokebox. Unbeschreiblich lecker.

 

Der Nachtisch ist die an das Brett genagelte Forelle. Auch saulecker! Irgendwann fallen wir dann müde und zufrieden ins Bett.

 

 

Am nächsten Morgen hat uns Juha schon Kaffee und Tee auf die Terrasse gebracht. Es gibt Fisch zum Frühstück. Auf der Gitarre spielt er dann auch noch eines meiner Lieblingslieder auf der Gitarre: Norwegian Wood von den Beatles.

 

Wir verbringen den Tag noch mit einer Wanderung durch die finnische Natur, anstatt uns voreilig in die Hauptstadt zu begeben.

 

An dieser Stelle möchten wir uns noch einmal ganz herzlich bei Juha und seinem Vater für die Gastfreundschaft bedanken.

 

 

Die berühmte Rechtskurve vom Vorabend wird noch einmal voll genommen und wir sehen, dass für die meisten europäischen Straßen ein handelsüblicher Altmercedes mehr als ausreicht. Wer braucht schon ein SUV? Warum muss man sein Fahrzeug höher legen?

 

Nochmal richtig Patina auf Sprotzel appliziert und stilgerecht in der Hotelgarage mit Waschstrasse geparkt. Gewaschen wird Sprotzel nicht! Auch wir sind zu müde und sehen vom schönen Helsinki viel zu wenig. Christian hat Phantomschmerzen seiner 100 Mückenstiche und ich habe ein paar Blogaufschriebe aufzuholen.

 

 

 

 

Juli 2009: Durchs wilde Baltikum

 

Beim Wiedereintritt in die Blogatmosphäre wird mir klar: Je mehr man erlebt, desto weniger Zeit zum Schreiben hat man. Das wird nun aufgeholt und dazu wird mächtig ausgeholt.

 

In der Vorbereitung zur Reise habe ich sämtliche Botschaften, deren Länder wir durchqueren, angeschrieben. Das rote 07er Oldtimerkennzeichen hat so seine Besonderheiten und da wollte ich einfach auf Nummer Sicher gehen. Die Estische Botschaft hat mich auf www.ark.ee verwiesen. So eine Art Zulassungsstelle für Fahrzeuge in Estland. Daraufhin hat sich ein reger Emailverkehr mit Peep A. aus T. (Name der Redaktion bekannt) ergeben. Seiner Signatur zufolge ist er Hauptspezialist der Registrierungsabteilung und kann hervorragend Deutsch. Fazit war, dass die Nummer in allen bereisten Ländern vollumfänglich anerkannt wird, wenn man eine grüne Versicherungskarte dabei hat. Was wir hatten. Für die Versicherung relevant war, dass die Reise der Pflege kraftfahrzeugtechnischen Kulturguts dient und man zu diesem Behufe beispielsweise Oldtimertreffen besuchen solle. Was wir in Norwegen und Finnland bei den örtlichen, von Mercedes anerkannten Clubs auch getan haben. Der Pflege kraftfahrzeugtechnischen Kulturguts dient es auch, wenn man darüber berichtet, wie ausgezeichnet man mit einem Klassiker reisen kann und dass man Land und Leute besser kennen lernt, als wenn man sich mit dem Billigflieger in Retortenflughäfen absetzen lässt und ab da in teuren Shuttle-Reisebussen sitzt, in denen man eh nur andere Touristen trifft. Mit diesem Bericht ist auch dieser Anspruch erfüllt. Und wie sich die nächsten Tagen zeigen wird, erleben wir sogar Ansätze einer Werkstattfahrt…

 

Peep verdanke ich auch mein Wissen über die Johannistagfeierlichkeiten der baltischen Länder nebst Finnland.

 

Zu den Festivitäten, die neben Weihnachten den höchsten Feiertag darstellen, wird sehr viel getrunken. Demzufolge sind dann auch mehr Polizisten auf der Strasse, die in Fahrzeugen mit der Aufschrift „Politsei“ unterwegs sind. Zum Fest ist deshalb „Alco Stop“ im Sonderangebot. Die Marketingabteilung des Produktes hat sich wohl selbst von der Unwirksamkeit des Mittels überzeugt.

 

Schon in Finnland waren die Städte leergefegt, weil alle aufs Land sind. Wir haben unsere Planung von Nord nach Süd den aufeinander folgenden Feiertagen angepasst und wundern uns nun, warum überall nix los ist. Also fahren wir einfach weiter.

 

 

 

 

Schon am nächsten Morgen geht es mit der Fähre nach Tallin. Dort verfolgen uns die Julfestivitäten. Die Esten sind wohl alle auf dem Land. Die Geschäfte sind geschlossen, nur der touristische Raekoia Plats bietet indische, italienische, deutsche, französische und amerikanische Küche. Als die MS Europa im Hafen zum Aufbruch tutet, wird es aber auch da ruhiger.

 

Da die Heimatredaktion nun auch ein paar Tage Urlaub hat: Erst mal Dank an Simone und Eberhard. Und an alle treuen Leser: Stay tuned! Wir werden noch 2000 km zu erzählen haben!

 

 

 

Kurz vor Pärnu biegen wir rechts ab. Christian hat einen Golfplatz ergoogelt, den es sich zu spielen lohnt. Für uns beide kostet das Vergnügen 500 EEK. Die Einheit bezeichnen wir liebevoll mit Estischen Einweg Kronen. Im Preis inbegriffen sind Rangebälle, ein Satz Schläger und ein oder auch zwei Runden auf dem Golfplatz. So genau nimmt man das hier nicht. Neben zwei anderen Sportlern und der netten Dame im Klubhaus sind wir unter uns.

 

Auf der Drivingrange verliebe ich mich in mein verbeultes „Holz 1“, das komplett aus Blech besteht. Die neun Löcher verliere ich natürlich gegen Christian, der ein richtig schlechtes Gewissen hat noch mal auf die Range zu gehen. Die Dame aus dem Klubhaus hat unsere Rangebälle bei einem kleinen Nachmittagsspaziergang alle von Hand eingesammelt.

 

In Pärnu angekommen packen wir zum ersten Mal unsere Zelte aus. Und was noch viel erfreulicher ist: Die Waschmaschine des Platzes ist ohne lange Wartezeiten zu benutzen. Wollen wir doch auf anderen folgenden Golfplätzen die Etikette nicht mehr so sehr beanspruchen…

 

 

Als wir bei estischem Festkuchen und Pulverkaffee in unseren Campingstühlen vor Sprotzel Platz genommen haben, bemerken wir, dass sich die Vorderreifen schon bis auf den Mantel ausgezogen haben. Seit meinem 116er, den ich zu Studienzeiten gefahren habe, weiß ich um die Grenzen von Reifen. Als Nächstes kommt ein klapperndes Geräusch, wie wenn man durch eine Pfütze voller Kugellagerkugeln fährt. Aus dem Reifen kommen Fäden, wie bei Paul Bocuse, wenn er karamellisierten Zucker über seine Nachspeisen träufelt. Klingt lecker – wollen wir aber nicht.

 

 

 

Reifenrehvision

 

Rehvi heisst Reifen. Doch der erste Tipp des Campingwarts schlägt fehl. „Am 25. wegen Aspirinkonsum geschlossen“ interpretieren wir das Schild an der Garagentür. Egal. Haben wir doch vorher an der Strasse ein angegilbtes, blaues Goodyear-Schild gesehen. Eine Garage, ein Verschlag mit Altreifen, eine Klitsche und ein Kompagnon, der zwischen Feiertag und Wochenende den Laden schmeissen muss. So sieht er auch aus: Wie Klitschko vor dem Kampf.

 

Das Reifenformat 205/65/R15 ist – Vladimir sei Dank – nicht unüblich im Baltikum. Gefühlte 1,2 Restmillimeter. Sieht nach einem Schnäppchen aus, was wir bis nach Hause runterrubbeln können. Von wegen: 1600 EEK. Ich schaue auf Klitschko herab und er erhält die erste Verwarnung wegen Tiefschlags durch übertriebenen Preis. Mein letztes Angebot von 1000 EEK lehnt er ab. Ich will nicht klammern und verlasse Klitsche & Co.

 

Zwei Kilometer weiter deutet ein Reifenstapel auf den nächsten „Autoteile Kluwe“. Ein beleuchtetes, estisches Taxi-Schild für 320 EEK lässt mich fast schwach werden. Der freundliche Fachverkäufer verweist uns auf den nächsten Reifenexperten und gibt uns ein Blatt dessen Reifenkataloges Herbst/Winter 2008 mit auf den Weg.

 

 

 

So imposant wie das Prospekt war, erreichen wir im Hinterhof einer Tankstelle ein Gebäude, dessen Teile links und rechts des Hauptbaus von unserem nächsten Hoffnungsträger angemietet wurde. Die Gewerbefläche steht heftig in Divergenz zum Prospekt. Der Gewerbetreibende nicht. Er klagt auf deutsch über die Wirtschaftskrise und spricht exakt wie der Fotograf in „Hader muss weg“. Die Frage, warum er so gut Deutsch spricht, beantwortet er knapp mit „Schwarzarbeit“.

 

Bei ihm würden Neureifen 1200 EEK kosten. Er ist sehr hilfsbereit und ruft beim nächsten Händler an, der auch gebrauchte 205er für uns bereit hält.

 

Diese Gebrauchten werden es dann auch für hart verhandelte 850 EEK bei „Rehviabi 24h“ Man beachte die Öffnungszeiten auf dem Schild rechts vom Eingang.

 

Wir verabschieden uns somit von unseren „Weißwandreifen“.

 

Da fragt mich die Heimatredaktion (mittlerweilke aus Washington) schon beim Anblick der Bilder: „Innen abgelaufen?“. Nein, lieber Eberhard „abgecruised“.

 

Abgefahren…

… in Pärnu sind wir aber erst nach der Inspektion des charmelosen und daher charmanten Strandbades. Das Leben in der Stadt kehrt nach den Feiertagen langsam zurück, Hier achtet man nicht auf Bademode, die Mädels hier sind so oder so hübsch anzusehen. Schlicht und doch schön grün sind auch die Parks, welche sich zwischen Strand und Stadt aufreihen. Danach kommt eine Reihe von Holzvillen, die meistens zum Verkauf stehen. Der reiche Russe will beim Geldausgeben beachtet werden, hier ist es für die noch zu langweilig.

 

In vierter Reihe genießen wir noch einen Kaffee mit Kuchenkultur.

 

Re-tired in Lettland

Die Straße nach der lettischen Grenze ist EU-gesponsort, relativ neu und breit. Seit Finnland nutzt man die breiten Strassen, indem man etwas auf den Seitenstreifen fährt, wenn man überholt wird oder dem Gegenverkehr ausweichen muss. Das wissen hier alle, bis auf ein holländisches Wohnmobil mit altem welkem Fleisch an Bord, die mit ihrer Ignoranz unnötig Gefahr vermitteln. Während man in Finnland die Autowracks zur Abschreckung im Graben liegen lässt und mit Plastikband ordnungsgemäß absichert, sieht man hier nicht mal Spuren von Abflügen auf dem Asphalt. Das liegt vielleicht daran, dass hier nicht allzu viele Holländer unterwegs sind und alle brav 100 km/h fahren.

 

Kaum gedacht – schon eines besseren belehrt: Ein Volvo hat es ziemlich eilig. Christian hat ihn kaum mit einem Blick in den Rückspiegel angekündigt, da brummt er auch schon an uns vorbei.

 

Kurz darauf schildert er, dass im Rückspiegel jetzt richtig Disco ist. Nochmal um einiges zügiger als der Volvo rauscht ein alugrauer Impreza an uns vorbei. Wären die vielen blauen Blitzlichter in Spoiler und hinter der Windschutzscheibe nicht, würde nur noch ein Tripstrillaufkleber am Heck fehlen und die Familienkutsche sähe recht harmlos aus. Aber die 300 Pferde unter der Haube beweisen das Gegenteil. Bereits eine Minute nach dem Überholvorgang ist der Volvo gestellt und geständig am Straßenrand.

 

 

Irgendwie sieht hier alles aus, wie in Finnland. Rechts und links der bis zum Horizont geraden Straße Nadelbäume. Feinsinnig erkennt man aber die Unterschiede. Die Bäume sind ein bisschen höher und haben geringfügig dickere Stämme und die freigefräste Schneise an den Rändern der Asphaltbahn fällt etwas schmaler aus, um rechtzeitig aufziehende Elche zu erkennen. Dazu kommt, dass sich auf der rechten Seite der Wald zu lichten scheint. Parkplätze gibt es im Abstand von drei Kilometern. Ein paar Menschen verlieren sich am hellen Sandstrand. Der Golf von Riga ist sehr kalt. Wäre hier Warmbadetag, könnte man die Baltische See nicht vom Balaton unterscheiden. 100 m vom Ufer entfernt spiele ich Jesus und latsche über das Wasser.

 

Die neuen Gebrauchtreifen kommen in den suburbs von Riga nicht zu Ruhe. Wohnsiedlungen im Sovjetklassizismus sind durchsetzt von fensterlosen Werbegroßfassaden. Wer sich wundert, dass ein Sportschuh in Indien oder China ein paar Euro kostet, aber bei uns kaum unter 100 € über die Theke wandert, kann hier leicht verstehen, wohin in der globalisierten Welt Geld versenkt wird. Die Letten, die an den Haltestellen auf einen Bus warten, schauen angestrengt mürrisch. Das braune Spaltledermodell hat deutlich Vorrang vor dem Markensportschuh.

 

Mit jedem Kilometer Richtung Innenstadt wird das Kopfsteinpflaster durchschlagend härter. Um mich zu orientieren, unterteile ich Riga virtuell ausgehend vom Anfang des „Brivibas iela“ in vier Quadranten. Im 4ten Quartier, welches ich im Norden deklariere, sind die Pflastersteine unbehauen. Wir fahren dort kreuz und quer um ein offenes Wlan-Netz zur Hotelbuchung zu orten. Es dauert über eine Stunde, bis es Feierabendverkehr und Parkplatzmangel zulassen, eines der vielen Netze zu nutzen.

 

Wir buchen uns mittelmässig günstig im „Dodo“ ein. Laut Buchungsplattform mitten in der City. Das Navi lotst uns 5 km außerhalb über die gleichmäßigen Pflastersteine des zweiten Quadranten.

 

Der Rezeptionist des Kleversparhotels ist mürrisch, wie alle Riganer. Die Aufforderung meine Emailadresse in das Anmeldeformular zu schreiben, beantworte ich mit: „Ich habe keine Email!“. Er will eine Diskussion lostreten, die ich damit abbreche, ihm das Formular, auf dem noch seine Hand liegt, ebenso zurückzustrecken und grinse ihn dabei freundlich an. Ich richte mir den Gurt meiner Laptoptasche zurecht und frage nach einem Stadtplan.

 

„Hammernicht“ und „Kriegenwirmorgenwiederrein“ sind etymologische Überbleibsel aus der Sovjetzeit.

 

Der Grund ist klar: Es soll nicht gleich jeder sehen, dass das Hotel alles andere als zentral liegt. Auf erneute Nachfrage, in welchem Viertel die Restaurants der Stadt auf uns warten, zieht er ein Einzelexemplar unter dem Tresen hervor und legt ihn auf den Selben.

 

Die Straßenbahnlinien 1, 7 und 9 (richtige Linien der Redaktion bekannt) benötigen fünf bis sieben Stationen zum Zentrum Rigas. Für zwei Personen zum Schnäppchenpreis von 1 Lats.

Das unerstaunte Gesicht des Rezeptionisten, uns eine Kopie des Stadtplans zu machen, verrät mir, dass diese Option selten angefordert wird. Eigentlich habe ich erwartet, dass er mir sagt, er hätte keinen Kopierer. Doch das ist ebenso unwahrscheinlich, wie jemand mit Laptop unterm Arm keine Emailadresse hat. Er denkt nicht an Revanche und schon liegt eine Kopie auf dem Tisch. Nun kommt er in Fahrt und macht um jede mit einem Piktogramm hervorgehobene Sehenswürdigkeit einen Kringel mit seinem Plastikhotelstift. Er nennt den Namen jeder frisch eingekreisten Sehenswürdigkeit, der sowieso auf Englisch daneben abgedruckt ist. Mit meiner Frage, wo denn hier der Fahrstuhl sei, dringe ich erst bei der letzten Sehenswürdigkeit bei ihm durch.

 

Wer sich ein altes abgetakeltes Vorstadthotel vorgestellt hat, irrt. Zwischen Holzhütten und Steinhäusern erstrahlt das maximal zwei Jahre alte „Dodo“ regelrecht.

 

„Wir haben keinen Fahrstuhl“. Zum Glück wohnen wir nur in der 3ten Etage. Ich muss gestehen, dass ich ganz kurz daran gedacht habe, mir das Gepäck aufs Zimmer tragen zu lassen, aber ich habe Angst um Sprotzel, der die Nacht alleine vor der Tür verbringen muss.

 

In Ermangelung ortsüblicher Währung – geschweige denn Kleingeld – habe ich ein Zweieurostück in der Hand, als ich zur Staßenbahn renne. Die Schlange beim Fahrer ist lang. Christian steht direkt hinter mir vor der Fahrertür. Und weil es dem Fahrer nicht schnell genug geht (er will Fahren und Kassieren gleichzeitig), macht er Christian erstmal die Tür vor der Nase zu. Auf meine Intervention hin öffnet er gleich wieder, fuchtelt mit den Armen und brüllt rum.

 

Wir haben den nächsten mürrischen Riganer gefunden.

Bevor ich eine Frage formuliere, kündige ich ihm gleich an, dass zwei Personen jetzt für zwei Euro in die Stadtmitte fahren. Ich weiß nicht mehr, ob er estisch oder englisch geantwortet hat. Sein Ton war unhöflich genug, um an der nächsten Haltestelle die Bahn zu verlassen.

 

Ich wollte meine empirischen Untersuchungen über Mürrigkeit fortsetzen und in der nächsten Bahn das Gleiche versuchen, aber Christian hat entscheidet, dass wir den Rest laufen.

 

Ich brauche gar nicht erst recherchieren: Die Nachrichten tragen es einem hinterher. Die Riganer stehen vor drastischen Gehaltskürzungen von 30% bis 50%. Das erklärt alles.

 

Selbst bei einem Fußmarsch benötigt man festes Schuhwerk auf dem Kopfsteinpflaster. Und als Fußgänger ist man am unteren Ende der Nahrungskette angelangt. Taxifahrer sind am anderen Ende. Markenturnschuhe könnten die Überlebenswahrscheinlichkeit erhöhen und könnten so zum echten Renner werden…

 

Das Restaurant „zum lachenden Frosch“ bietet leckeres Essen in der wirklich schönen Stadt. Ich nutze die Anwesenheit weniger unmürrischer Riganer und schaue der Bedienung tief in die Augen, als ich bestelle. Sie trägt ein grünes T-Shirt mit lachendem Froschgesicht.

 

 

 

Nicht nur die neuen Reifen leiden in Riga, auch der Spoiler verträgt keinen Schüttelfrust. Die Blechschneidschraube steckt noch ankorrodiert in der Aufnahme, die sich mit einem Sprödbruch von der Karosserie getrennt hat. Ich habe von Uli eine Hand voll Schrauben mitgenommen, aber keine passt. Uli hatte immer eine Blechschneidschraube in seinen alten BMW 2000 CS parat. Er hat einfach die Schrauben der Handgriffe am Dach des Innenraums verwendet. Als er keine Handgriffe mehr hatte, gingen ihm auch die Blechschneidschrauben aus. Ich behelfe mir mit einer Holzschneidschraube und kontere mit einem Dübel. Den Rest richtet das Klebeband. Das hält bis Stuttgart!

 

 

 

Die Strassen werden in Litauen nicht besser. Wenigstens ist in Kaunas das Kopfsteinpflaster besser als in Riga. Dafür baut man mutwillig Schlaglöcher, indem man schadhafte Stellen großräumig abschürft. Diese werden nicht abgesperrt oder gekennzeichnet, sondern dem Verkehr überlassen. Das führt dazu, dass alle undefinierte Schlenker fahren. Alle bis auf die Fahrschule, die vor uns fährt. Sinngemäß zur sovjetlastigsten Umgebung unserer Reise hat es das amtliche Kennzeichen „ DDR 292“. Spontan habe ich eine Romanidee, man hätte bei den Verträgen zur Wiedervereinigung Deutschlands die Schaltjahre vergessen. So regiert alle vier Jahre Hans Modrow wieder für einen Tag (klar zu erkenn an dem grossen „M“ auf dem Fahrzeug). Da ist er wieder, der Unwahrscheinlichkeitsdrive! Douglas Adams hätte bestimmt was draus gemacht und ich sehne mich an die norwegischen Fjorde zurück, bei deren Anblick mir immer ein leises „gut gemacht Slarty“ über die Lippen kam.

 

 

 

Die Sensation in Kaunas ist das „Akropolis“. Ein Einkaufszentrum, das für diese Stadt etwas zu groß geraten ist. Das Parkhaus überspannt die achtspurige Autobahn, da kackt das Parkhaus von der Stuttgarter Messe echt ab. Über jedem Parkplatz ist ein Sensor. Die Reihen zieren grüne Pfeile und die Anzahl freier Plätze. Da ich noch nie am Düsseldorfer Flughafen war, kenne ich kein besseres System. Auf dem Zebrastreifen vor dem Haupteingang parkt ein Audifahrer seine Stoßstange zwei Zentimeter hinter meiner Wade. Also auch hier ist der Fußgänger ohne Rechte. Ich will den Kaunässern nichts Böses nachsagen und stelle mir vor, der tobende und palavernde Fahrer ist Tourist aus Riga. Die Leute hier sind freundlich, zuvorkommend und haben Humor. Zumindest solange sie nicht in einem Auto sitzen.

 

 

 

Das Akropolis hat alle erdenklichen Geschäfte und Vergnügungen parat. Auf der Suche nach Verpackungskuriositäten fällt mir die 2,3 Literflasche Bier auf. Jetzt weiß ich, was die Trucker unterm Arm haben, wenn sie aus der Tankstelle kommen. Wahrscheinlich sind die Sommer in Litauen heiss und lang.

 

Umso imposanter erscheint das Eisstadion in der dritten Etage direkt neben der Bowlingbahn. Was Düsseldorf für Köln ist, ist Vilnius für Kaunas, So eine rivalisierende Städtepartnerschaft bringt einige Stilblüten hervor. Das riesige Meerwasseraquaruim aus dem Touristenprospekt finden wir nicht. Das steht wohl in Vilnius.

 

Meine Länderpunkte 59 und 60 verpasse ich, als wir zwischen Weißrussland und Russland die polnische Grenze passieren. Endlich: Wir erblicken den ersten Zöllner der Reise. Doch die prall gefüllte Dokumententasche bleibt unberührt. Er winkt uns durch.

 

Unglaublich, aber wahr: Die Straßen Richtung Warschau sind noch schlechter. Die LKWs ziehen Spurrillen, dass ich glaube, Sprotzel hätte einen Autopiloten. Dem Fahrbahnbett fehlt Kies. Wahrscheinlich wurde der beim Bau der Straße geklaut. Schon nach 10 km in Polen hake ich geschmacklosen Witz Nummer 5 ab und wir erreichen am späten Nachmittag völlig gerädert Warschau.

 

 

 

7. Juli 2009: In Polen

Auch der Stadtverkehr findet noch Steigerungen auf unserer Reise. Hätte der polnische Motorradfahrer stärker auf Sprotzels Dach geklopft, hätte sein Helm noch eine Delle mehr in der verchromten Dachreeling hinterlassen.

 

Bisher dachte ich, Stuttgart-Botnang hätte die beklopptestes Kreisverkehre der Welt. Stoppstellen an der Einfahrt, mittendrin Ampeln weil die Straßenbahn kreuzt und Fußgängerüberwege direkt an der Ausfahrt. Den „magic roundabout“ (http://de.wikipedia.org) habe ich nie durchfahren. Da es in Warschau zusätzlich Abbiegerspuren gibt, wünsche ich mir die Pariser Vorstädte herbei. Ich glaube fest daran: Wie beim Rotwein (und der Liebe?), wissen die Franzosen, wie es geht.

 

Dafür hat Warschau Nachtleben. Und „by the way“ auch mal wieder Nacht, wenn man bedenkt, wo wir herkommen. Das Leben erklärt Paulina, eine Bekannte von Christian, die er in Eindhoven kennengelernt hat. Sie spricht fließend schnelles Englisch mit hartem „R“. Als Nightguide erklärt sie die historischen Gebäude der Innenstadt – fast alles katholische Kirchen. Paulina hat die vielen Kirchen so charmant vorgestellt… Sie könnte auch aus dem Warschauer Telefonbuch vorlesen. Ihr trockener Humor, von dem ich nicht weiß, ob er typisch polnisch ist, fasziniert. Sie lädt uns für den nächsten Morgen um halb Eins zum Frühstück ein.

 

Beim leichten Jazzfrühstück beschließen wir, noch das Ghettomuseum zu besuchen. Auch wenn mir der Anteil von Beispielen an der allgemeinen zweiten Weltkriegsbeteiligung Polens zu hoch erscheint, ein beeindruckendes Erlebnis. Ich frage mich, warum es in Deutschland unter Strafe steht, Kurt Tucholsky zu zitieren: „Soldaten sind Mörder“.

 

Ich empfehle jedem, dem vergönnt ist, zu Lebzeiten keinen Krieg hautnah erlebt zu haben, solch einen Museumsbesuch. Es spielt keine Rolle, dass wir die nächste Etappe auf polnischen Straßen nicht bis Berlin fahren können und nächtigen in Posen.

 

 

Posen in Poznan

Dafür stellen wir Sprotzel spät nachts vor das Restaurant und ändern den Blickwinkel. Am Morgen danach ist die Nacht und der Regen vorbei und Posen stellt sich gleich freundlicher vor. Als neugieriger Mensch liebe ich das Leben in den Hinterhöfen. Auffallend schönes Hinterhofleben, wie in Prag (oder auch Kaunas) gibt es hier. In Wien oder Berlin ist dies aufgrund Eigentumsdenkens verloren. In Poznan halten aber genügend Cafés und Bars die Höfe noch offen. Dies nutzen wir zum Frühstück.

 

Richtung Berlin nutzen wir endlich eine Autobahn. Ausreichend Schilder an Brücken und am Mittelstreifen informieren unterschwellig über den Geldgeber für den Highway: Die EU. Trotzdem lassen es sich die Polen nicht nehmen, alle paar Kilometer 11 Sloty zu kassieren. Und dann hört die A2 auch noch mitten in Polen auf und man darf an der Landstraße wieder Störche besichtigen. Bereits ab Estland hat der Storch den Elch verdrängt, den wir nicht gesehen haben.

 

Vermisst nicht die nächste Folge, wenn es heißt. „Sprotzel kehrt Heeme“.

 

 

Das Sprotzel kehrt heim

 

Die Landstrasse nach Deutschland zieht sich. Die Grenze kündigt sich durch die Häufung von Bordellen und Tankstellen an. Da unser letzter Tankstopp schon ca. 140 km her ist, entscheiden wir uns dafür, nachzufüllen. 160 Sloty. Ich dachte, der Sprit in Polen sei billig. Über 30 €. Die dazugehörigen, auf der Rechnung ausgewiesenen Liter sind definitiv zu viel.

Alter Heinz Erhard (der übrigens in Riga das Gaslicht dieser Welt erblickte) Witz: Die Fee fragt: „Na mein Junge, was willst du denn einmal werden?" Ich antwortete, im Hinblick auf meine ziemlich feuchten Windeln: „Ach, gute Tante, vor allem möchte ich gerne ‚dichter‘ werden!" Das hat die Fee wohl missverstanden.

 

Auch Sprotzel ist dichter geworden, seit dem ich ihm auf Werners Hebebühne Ulis Benzinschläuche angedichtet habe.

 

Vielleicht wurde nächtens in Poznan geschläuchelt? Sprotzels Tankklappe aus dem Jahr 1977 hat kein Schloss unter dem unverschliessbaren Deckel.

 

Entweder hat man die S-Klasse damals standesgemäss ausnahmslos in der Garage eingeschlossen, oder die Welt war noch ein bisschen heile (oder Entwickler schon damals doof oder der Rationalisierungswahn ist kein Anzeichen von Fortschritt sondern systemimmanent).

 

Oder der Tankwart hatte seine Zapfsäulen getunt.

 

Die Tanknadel wusste auch keine Antwort auf die Frage, ob uns ein aufgeweckter Poznaner Frühpendler oder der Tankwart beschissen hat.

 

Daimler-Qualitäts-Tanknadeln der Baureihe W116 kleben die ersten 80 km grundsätzlich am oberen Anschlag. Erst vermittelt der fast 100 Liter fassende Tank seit jeher das Gefühl, an der Zapfsäule „Krösus“ zu sein. Direkt nach diesem Ereignis suggeriert dann die optimistische Tanknadel einen umweltverträglichen Benzinverbrauch.

 

Gottseidank zieht sich die Landstrasse nach Deutschland noch ein bisschen. Da der letzte Eintrag im Fahrtenbuch „06.06. – Moers“ lautet, nutze ich die Gelegenheit und vervollständige „ – Trondheim – Helsinki“. Das reicht. Der Kilometerstand muss erstaunlicherweise sowieso nicht eingetragen werden. Nachdem ich die letzten 8780 Kilometer durch 8 Länder ohne jegliche Zollkontrolle gereist bin, gehöre ich zu denjenigen, die sicher sind, an der polnisch-deutschen Grenze von einem deutschen Beamten zerlegt zu werden.

 

Mit Uli und Andi habe ich bei meinen beiden W116-Jugendsünden Schweller geschweißt. Ich kann euch sagen: Da würden jede Menge Zigaretten reinpassen.

 

Während sich die Landstrasse nach Deutschland zieht, klingen aus dem mp3-Radio heimatliche Klänge. Michael Gaedt trällert mit der „Kleinen Tierschau“: „Du bist ein Arschloch“. Ich merke mir die Titelnummer auf dem Radiodisplay um bei einem pflichtüberbewussten Zöllner punktgenau zurückzuspulen. Wir hören den lustigen Titel bereits zum dritten Mal, doch…

 

…die Landstrasse nach Deutschland zieht sich immer noch. Als die Strasse betont finnisch anmutet (großräumig gestutzter Grünstreifen, mickrige Nadelbewaldung), glaube ich wohl unbemerkt die Grenze überschritten zu haben. Als Christian auf eine leichtbekleidete Dame am Straßenrand deutet, antworte ich: „Wir sind wohl noch in Polen…“.

 

Ich erinnere mich an den Geschichtsunterricht der Schulzeit und als wir die Oder überqueren, fällt mir wieder ein, wie ich mir die Grenze immer vorgestellt habe. Auf der einen Seite öde Landstrassen und von einer natürlichen Barriere getrennt, auf der anderen Seite vierspurige Autobahn mit Pannenstreifen und Leitplanke.

 

Einen Zöllner erblicken wir weit und breit nicht. Auf vielfachen Wunsch spielt das Bordradio jetzt Rainald Grebes „Brandenburg“.

 

 

Als wir die Autobahnausfahrt Königs-Wusterhausen (der Geburtsort meines Vaters) passieren, beginne ich zu berlinern. Schließlich habe ich als Kind ja auch nur berlinert. Ich habe sogar geglaubt, ich sei ein Berliner. Als mich meine besorgten Eltern über meine schwäbischen Wurzeln aufklärten, habe ich einen halben Tag geheult. Mittlerweile trage ich beide Nationalitäten mit Fassung und fühle mich in meiner berliner Haut wohl.

 

Uli ist heute zufällig auch in Berlin und wir haben in sein Navi die Adresse eingegeben, wo wir uns treffen. Auf einem Betriebsgelände, auf dem sich abends Fuchs und Keinohrhase gute Nacht sagen. Da am Filmset Fotografierverbot herrscht, verschweiger ich mal, was da gerade abgedreht wurde. Ich freue mich, meinen Freund mit „Taxi“ zu begrüßen. Denn das sind wir auch für ihn.

 

Wir verstauen unseren Fahrgast ordentlich neben Kühlbox und Picknickdecke auf dem Rücksitz. Da konnte ich noch nicht ahnen, wie begeistert er am Abend des selben Tages seine Erlebnisse im Mercedes-Oldtimerforum verarbeitet.

 

Wie konjugiert man Opel? Jahreswagen, Gebrauchtwagen, Abwrackprämie

 

 

 

 

Wir machen mit Sprotzel Sightseeing und am KDW fällt mir auf, dass ich trotz vieler Berlinbesuche noch nie drin war. Dass sich auch hier was geändert hat, kann man daran bemerken, dass auf der anderen Seite der Gedächtnisskirche das Parkhaus am Tag 2 Euro kostet. Aber vielleicht habe ich ja das Kleingedruckte auf dem parkhaushohen Plakat übersehen.

 

Es ist Sommer und im Kaffee genieße ich eine Berliner Weisse (in Rot). Das habe ich auch vor zwei Tagen in Warschau getrunken. Da schmeckte das sirupgesüsste Bier noch spannend exotisch. Hier in Berlin ist es ein Klassiker.

 

Das Einchecken im Holiday Inn Gardenhotel (was in der Bleibtreustrasse übrigens fern jeder Grünanlage ist) wird zum Heimspiel. Ich berlinere fließend mit der Hotelangestellten, die mich pflichtbewusst – wie in ihrer Ausbildung – über das Bonusprogramm informiert. Als Schwabe hätte ich ihre Frage, ob ich Punkte sammle, devoter beantwortet: „Wenn sie mich meeget, leeget se mer eun Schogglädle mee aufs Kopfkisse“. Als Berliner entfährt mir nur: „Jehn se mer fort mit dem Scheissdreck. Dette mag ich jar nich!“. Und als könnte es keinen schöneren Willkommengruss geben, ertönt ihre Kollegin aus dem hinteren Büroraum: „Ick ooch nich!“

 

Endlich Daheeme!

 

Auch im Maredo (deren gibt es mehrere am Kuhdamm) liegt mir der etwas nassforsche berliner Witz. Und es kam eine lange Dürre. Unsere sehr ansehnliche charmante Bedienung Jennifer.

 

Auch am nächsten Tag bleibe ich konsequent dialektisch. Beim Käpitän des Spreedampfers ordere ich „een Erwachsener, een Kind“.

 

Der Käpitän lehnt sich zur Seite und mustert Christian: „Wie alt issn der Kleene?“

„Nächste Woche wird er fuffzehn.“

„21 Euro bitte.“

 

Wir genießen die Spreerundfahrt und fahren danach mit Sprotzel noch ein paar Sehenswürdigkeiten ab. Als wir schon auf der Avus sind, schalten wir das Navi ein. Das Gerät war uns auf der Reise sehr hilfreich (obwohl ich es für den alltäglichen Einsatz immer noch ablehne). Da macht es auch nichts, dass es uns falsch auf die A10 lotst.

 

 

In Moers angekommen, sehe ich die Baustellenaufschrift auf dem Asphalt wieder: „Gas alt?“

Doch nach unglaublich exakten 10.000 km schaue ich in Echterdingen alleine auf Sprotzel und denke: „alt? Gas!“

Ende

Die nächsten Tourideen sind längst geboren. Rund ums schwarze Meer? Doch auf dem Landweg zum Cape Agulhas? Ich ertappe mich dabei, dass ich in meinen E-mails flunkere, ich säße in Avignon und in drei Tage ginge die Fähre Neapel – Tunis. Dies ist lediglich Ausdruck des Wunsches die tolle Toure sollte weitergehen.

 

Sendet Eberhard, Christian und mir doch einfach weitere Vorschläge.

 

Biss denne Wolfgang

(c) ikonengold.de, 2006-2012 ::: Impressum