Das Winter-Alto

Auch wenn es nicht so aussieht, gehören beide zur Gattung "Personenwagen".

Aschgraues Plastik, dafür Rundinstrumente.

Text und Bild: Eberhard Weilke

 

Eigentlich bin ich ja kein Freund der Unart, klassische Automobile für den Winter abzumelden. Sicherlich, ein Saisonkennzeichen spart den ein oder anderen Euro an Steuer und Versicherung, das Argument jedoch, man dürfe einen alten Wagen nicht der winterlichen Elemente aussetzen, lasse ich nicht gelten. Erstens gibt es wahrlich genug trockene, sonnige Wintertage, die zu einer Fahrt ins hoffentlich Weiße einladen, zweitens verfügen wir heute über genug erprobte Schutz- und Konservierungsmittel, die selbst empfindliches Blech der späten 70er Jahre wetterfest machen. Schlussendlich drittens vertrete ich die Auffassung, dass unsere Autos für eine Leben auf der Straße gebaut wurden und um uns mit ihrer Blechhülle vor den Elementen zu schützen. Es war schließlich der große Schritte weg vom Motorrad hin zum eigenen Auto, im Warmen sitzend den Schneeflocken zuzusehen, wie sie im Licht des Scheinwerfers am Wagen vorbei huschen.

 

Der Anstoß, unseren zweiten Großbenz vorübergehend abzustellen, war also eher pekuniärer Natur. Bei fixen Kosten von 140 Euro für Steuer und Versicherung (nicht im Halbjahr, nein, im Monat) und monatlich dreimaligem Langstreckenpendeln verfing auch das Argument nicht richtig, mit 13 – 14 Liter Verbrauch unserem Mercedes 280 S sehr zurückhaltende Trinksitten angewöhnt zu haben. Von den kostenreduzierenden Segnungen der H-Nummer noch weit entfernt (die eingeschränkt zu nutzende 07er Nummer nicht wirklich eine Alternative bietend) hilft nur vorübergehender Verzicht, um das Reisen in der S-Klasse nach finanzieller Gesundung wieder unbeschwert genießen zu können.

 

Schließlich steht für die Übergangszeit noch ein wirtschaftlich zu betreibender kleinerer Benz im Fuhrpark, was wir jetzt brauchten, war preiswerte Basismobilisierung für den Nahverkehr.

 

Auch in Wirklichkeit wirkt das Alto so herrlich unproportioniert, wie auf dem Handyphoto der Ebay-Anzeige.

Aschgraues Plastik, dafür Rundinstrumente.

72 Euro Eintritt ins Vergnügen

Der Marktplatz Ebay hat sich zweifelsohne zum legitimen Nachfolger der berüchtigten Fähnchenhändler an den Großstadt-Ausfallstraßen entwickelt. Während viele der gewerblichen Händlern dank neuem Gewährleistungsrecht ein wenig der Weg in die Seriosität nahe gelegt wurde, herrscht heute im virtuellen Auktionshaus noch häufig die Mentalität des Wilden Westens. Wir hatten daher feste Regeln für die Suche: Das Auto muss klein sein und es darf nicht mehr als 100 Euro kosten. Nach kurzer Suche erhielten wir den Zuschlag auf einen ´88er Suzuki Alto mit sieben Monaten Rest-Tüv, im Nachbarort mit leckendem Kühler stehend. In Anbetracht des Kaufpreises von 72 Euro fiel die Besichtigung des Objekts der begrenzten Begierde recht nüchtern aus: Das Blech war größtenteils intakt, der Innenraum roch nach Jahrzehnten Wunderbaummissbrauchs, Fahrersitzpolster und Heckklappenverkleidung waren mit grauem Duck-Tape liebevoll restauriert. Das Soundcraft-Kassettenradio wollte keinen Rundfunk empfangen, aus dem einen Lautsprecher hinten links im Laderaum drang aber zweifelsfrei Musik. Überrascht hatte uns der Umstand, dass das Alto auch in Wirklichkeit so herrlich unproportioniert aussieht, wie es auf den Auktionshausbildern wirkte. Und wir dachten noch, das Missverhältnis zwischen Höhe und Länge sei erst durch ungeübte Hand im Photoshop entstanden.

 

Aufgrund der beharrlichen Weigerung, das Kühlwasser bei sich zu behalten, kam das Ding an die Stange, um den Weg in die neue Heimat zu finden. Und schon taucht das erste Problem auf: Die Beläge der hinteren Trommelbremsen waren festgerostet. Ein kurzer Ruck mit dem Abschleppfahrzeug löste die Beläge sowohl von Bremstrommel als auch Belagträger, heftige Mahl- und Rumpelgeräusche für den Rückweg waren die Folge. Das geht ja gut los. Inzwischen hatte Regen eingesetzt, dank müder Bordelektrik verharrte der Scheibenwischer in seiner Ruhelage. Irgendwie gelang es mir trotzdem, knapp zehn Kilometern die kurze Schnauze zwischen den zwei Rückleuchten vor mir zu halten und das Heckblech dazwischen nicht zu berühren.

 

Von hier bis zum vollausgestatteten Navigationssystem ist es nur ein kleiner Schritt für die Menschheit - aber noch ein großer für den Besitzer.

Schlichteste Materialien für den Innenraum, die dennoch lange Jahre ihren wesentlichen Zweck erfüllt haben.

Kleine Ursache, kleine Wirkung: Kleines Alto!

In der Werkstatt galt es erst einmal, dem Kleinwagen wieder Mobilität zu verleihen. Die dreimaltote Suzuki-Batterie tauschte ich gegen das herumstehende Exemplar eines VW Passat. Neue Polklemmen und der großzügige Umbau der Batterieaufnahme mit einem schweren Hammer gestatteten diesen ungewöhnlichen Umbau. Neue Bremsbacken hinten waren schnell getauscht, die Arbeit erinnerte ein wenig an die Reparatur des Rücktritts einen Damenfahrrads.

 

Doch auch an anderer Stelle drohte technisches Ungemach: Die kleine Leckage im Kühlsystem entpuppte sich als defekte Wasserpumpe, aus dem Getriebe floss schaumiges, helles Öl und die Kupplung wollte auch nicht mehr richtig greifen. Wir mussten abwägen: Für das sofortige Verschrotten sprach ein Blick in die Reparaturanleitung. Der ist eine kurze Aufzählung vorangestellt, zu welchen Arbeiten der Motor !nicht! ausgebaut werden muss. Dies erklärt übrigens auch das schnelle Aussterben dieser fahrenden japanischen Handtaschen, Kupplungswechsel in der Werkstatt wird mit 400 Euro kalkuliert. Mindestens.

 

Für eine Wiederbelebung sprach das sehr niedrige Preisniveau der Ersatzteile (das Alto wird in leicht verbesserter Form heute noch in Indien als Maruti Uldog 800 hergestellt und hat dort einen Marktanteil von ca. 25 % bei den Neuzulassungen) und der starke Wille, sich von japanischer Ingenieurskunst nicht ins Boxhorn jagen zu lassen.

 

Also Kameraden, frischauf, ans Werk. Die französische Interpretation eines kleinen Volkswagens schaffte den Motorkran heran, also ab mit dem Alto auf die Unterstellböckchen. Unter dem Auto liegend erkennt man auch die wahre Berufung des Altos. Sein natürliches Habitat sind die Straßen der dritten Welt. Hinten eine Starrachse an Blattfedern, an der Vorderachse ist alles für erheblich mehr als die 630 kg Leergewicht dimensioniert. Die Bremsleitungen sind im Fahrzeuginnenraum geführt, die Treibstoffleitung sitzt in einer Nut im Wagenboden, mit Blechen geschützt vor Beschädigung durch Steinschlag und Aufsetzen. Die Straßen, auf denen sich das Alto wohl fühlt, dürfen auch einmal schlechter sein.

 

Länder mit niedrigen Lohnnebenkosten hatten die japanischen Konstrukteure wohl auch im Auge, als sie sich ein paar wenige Gedanken um die Wartungsfreundlichkeit des Kleinwagens machten. Ohne beherztes Abbauen des halben Fahrzeugs erreicht man wenig. Quertraverse weg, Kühler weg, mit Brechstange unters Alto gekrabbelt und Antriebswellen rausgehebelt kommt ein Gurt um die Antriebseinheit und schon hängt nach zwei Stunden Arbeit die Antriebseinheit wartungsfreundlich vor einem. Auf dem Weg dorthin hat man mindestens zwanzig Mal zum falschen Werkzeug gegriffen, am Alto sind wirklich alle Schrauben und Muttern zwei Schlüsselweiten kleiner, als es die mit richtigen Autos erfahrene Schrauberhand erwartet. Dieser Trend zur Miniaturisierung findet sich auch an anderer Stelle: Die Kupplungsscheibe selbst passt in handelsübliche CD-Laufwerke.

Mit Mut und Kraft in die Werkstatt geschafft warteten dort die ersten Pflegemaßnahmen.

Für 180 Euro durch den ganzen Winter

Der Wechsel der Wasserpumpe war inklusive notwendiger Demontage des Zahnriemens dann ein Klacks, so dass nach insgesamt acht Stunden Werkstatt und Einbau eines preiswerten Tauschgetriebes das Alto fertig für ein Leben auf der Straße war. Ein Satz sehr guter Michelin X M+S 100 im Schubkarrenformat 145/70 R 12 sollte dafür sorgen, dass Schneewächten bis Hüfthöhe durchbrochen werden können. Die Achslastverteilung liegt bei ca. 80/20 %, Traktionsprobleme ist des Altolenkers große Sorge nicht, die Beheizung des klitzekleinen Innenraumes übrigens auch nicht. Dank starkem Gebläses und wenige Schoppen fassenden Kühlmittelkreislaufs bläst es einem nach wenigen hundert Meter Fahrt heiß entgegen. 

 

Nach Beseitigen der technischen Maleschen, das Alto hatte bis jetzt das Budget mit etwa 180 Euro belastet, erlebten wir Autofahren in seiner reinsten Form. Drei Zylinder, 0,8 Liter Hubraum reichen aus, um 630 kg Blech und aschgraues Plastik mitsamt Insassen überraschend schnell durch die Stadt zu bewegen. Der Wendekreis misst sich mit dem eines Londoner Taxis, die Bremsen erwarten dank fehlender Bremskraftverstärkung einen beherzten Tritt. Bodenwellen und Unebenheiten im Belag teilt das Alto dank kurzem Radstand den Insassen unmittelbar mit, ein wenig Gepäck im Kofferraum sorgt für sofortiges Durchschlagen der blattgefederten Starrachse. So richtig wohl fühlt sich der Kleine auf der Autobahn nicht, bevor man die theoretische Höchstgeschwindigkeit von 140 km/ erreicht, verlässt den durchschnittlichen Fahrer der Mut (kurzer Radstand sorgt nicht wirklich für zweifelsfreien Geradeauslauf). Auch bei der Entwicklung der Sitze hatten die Entwickler nicht die Ansprüche eines Mitteleuropäers im Auge, der länger als 20 Minuten in seinem Auto sitzen möchte...

 

Freude bereitet der Besuch der Tankstelle. Den Zielmärkten gerecht darf es niedrigoktaniges Normalbenzin sein, selbst bei härtester Fahrweise wollen nicht mehr als 6 l/100 km durch den winzigen Vergaser fließen. Einmal Volltanken kostet so etwa 30 Euro und bringt einen rund 550 km weit.

 

Der Winter war schnell vorüber, wieder Erwarten hat das kleine Ding seine Aufgaben hervorragend gelöst. Aus dem bisschen Rost wurde extremer Rost, so dass die Verwertung als richtiger Weg erschien. Aber wir vermisssen es. Wie es klaglos einen Berg Getränkekisten schluckt. Das Flattern der Fahrertüre im Wind, bei Geschwindigkeiten jenseits der 80 km/h. Wir vermissen seinen brummeligen Leerlauf , die kurzen Schaltwege und die derben Stöße der Autobahnfugen.

 

Mal sehen, wann es das nächste Winter-Alto gibt.

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