Literatur rund um's Autofahren: verborgene Schätze heben...

Text und Bilder: Eberhard Weilke

 

Die Tage werden kürzer, das Wetter draußen ungemütlich, das freudige Fahren bei Sonnenschein auf trockenen Straßen weicht mehr einem anstrengendem Herumstochern im Nebel, immer in der Hoffnung, auch diese Fahrt ohne Feindberührung und Kolateralschäden zu überstehen. Manch einer geht deshalb sogar so weit, schraubt die Kennzeichen ab und schließt sein klassisches Kraftfahrzeug für den Winter ein!

Selbst anderweitiger Zeitvertreib an den Autos bleibt uns im Winterhalbjahr ja größtenteils verwehrt: Zum Restaurieren ist es in der Werkstatt zu kalt, bei Waschen und Polieren gefriert uns die Hand am Blech fest und Eiskratzen oder Schneeabräumen ist wirklich keine vollwertige Ersatzhandlung für den bekennenden Automobilist.

Eventuell kann unsereins einen Fahrersitz im Wohnzimmer neu beziehen oder ein Getriebe in der Küche zerlegen, allerdings stoßen wir hier schnell an die Grenze der Toleranz der Frau, Freundin oder Mutter. Was bleibt also zu tun, damit wir mit unserer Leidenschaft in Übung bleiben?

Gut hat es derjenige, der den Sommer über auf den ganzen Treffen, Märkten, Börsen sich nicht nur mit seltenen Ersatzteilen oder Sonderausstattungen eingedeckt, sondern auch durch die Kisten und Kästen der Literaturhändler gearbeitet hat. Der beim Erwerb eines Fahrzeugs aus Rentnerhand zuerst den Inhalt des Handschuhfachs und der unvermeidbaren Werkzeug-, Ersatzkeilriemen- und Reisebedarfstasche im Kofferraum untersuchte. Oder bei den Eltern, Onkels, Oma oder Opa sich einmal das Bücherregal genau vornahm. Hier fand er mit Sicherheit automobilliterarische Pretiosen, die ihre wahre Schönheit oftmals im Verborgenen ausstrahlen müssen. Wenn sich denn die Allgemeinheit für diese Unterform automobiler Affektion interessiert, handelt es sich meistens um Werbeprospekte der vermeintlich edlen Klassiker wie Ferrari, Jaguar oder der 300 SL aus dem Hause Mercedes Benz. Ich möchte jedoch hier ein paar Beispiele von kleinen, jedoch hochinteressanten Werken vorstellen:

Reisen mit Baedeker

Der Reiseführer von Baedeker steht seit Generationen dem ernsthaften Reisenden auf großer Fahrt mit Rat und Tat zur Seite. Detailliert informiert er über alle Regionen und beinahe alle Ortschaften Deutschlands, welche Sehenswürdigkeiten man nicht verpassen darf und welche historischen Ereignisse sich hier begeben haben. Die Navigation fällt einfach: Immer entlang der Bundesstraßen. So findet sich beispielsweise im Kapitel "B 20: Von Furth über Straubing nach Berchtesgaden" folgende schöne Wegbeschreibung: "Hier rechts über die Saalach (Gasth.) und 2 1/2 km auf der Alpenstraße (vgl. B 305) in Richtung Inzell bis zur Straßenteilung bei Schneizlreuth (509m; Unterkunft s. Teil E)..."

Dann wollen wir doch gleich mal im Teil E nach einer Unterkunft in Schneizlreuth nachsehen: "Gasth. Zur Post, 15 B. ab 9 DM; Hubertus, 10 B. ab 8 DM" Gelegentlich finden wir auch den Hinweis, ein Haus sei " gelobt"! Und so geht das durchs ganze Buch hindurch, kreuz und quer durchs Land. Naja, nicht ganz kreuz und quer: Bei der Fahrt von Berlin nach Frankfurt erwarten den Reisenden ein paar Kalamitäten des kalten Krieges: "Die nordöstlich von Herleshausen wiederbeginnende Autobahn ist wegen nochmaliger Durchquerung eines Zipfels ostzonalen Gebietes bis zur Anschlußstelle ‚Obersuhl/Richelsdorf' für den gesamten Verkehr gesperrt".

Ansonsten jedoch haben sich die Herausgeber des Reiseführers von keinem ostzonalen Zipfel groß beeindrucken lassen. Die Grenze zwischen ehemaliger DDR, im Baedeker umschrieben als gesperrt gesetztes M i t t e l d e u t s c h l a n d, und Westdeutschland wird gerade noch gestrichelt eingezeichnet, die eigentliche Grenze Deutschlands umfasst selbstverständlich die östlichen Bundesländer und macht auch vor der Grenze zu Polen nicht halt. Selbstverständlich entfallen auch die polnischen Ortsbezeichnungen im Kartenteil, Stargard, Landsberg und Küstrin scheinen noch nicht richtig aufgegeben.

Mit dem Auto auf Du...

Nun denn, wir finden natürlich auch politisch erheblich unschuldigere Literatur im Bücherschrank. Eines meiner Lieblingsbücher ist die "Autofibel" von Otto Willi Gail aus dem Sebaldus Verlag in Nürnberg. O.W. Gail erklärt im Jahre 1951 dem Leser auf 222 Seiten all das, was man als angehender Neu-Automobilist so wissen muss. Die Technik erklärt der Autor deshalb sehr bildhaft: "Also das explosible Gasgemisch strömt durch das Ansaugrohr weiter zum Motor und kommt da in einen Hohlraum, der ungefähr so beschaffen ist wie das Innere eines umgestülpten Maßkruges."

Die richtige Vorgehensweise bei komplizierteren Fahrmanövern erfährt der Leser anhand anschaulicher Grafiken, beispielsweise das Wenden in mehreren Zügen oder die sechzehn Gefahrenpunkte der gemeinen Vierwege-Kreuzung. Auch weltbewegende Fragen finden ihre Auflösung, beispielsweise: "Wie überhole ich einen Steinhaufen?" oder die Frage nach der "Fahrbahn der Narren". Nahezu existenzialistisch wird der Autor im Kapitel: "Angst vor der Großstadt". Nicht vor Kriminalität, Prostitution und Drogen möchte er den Landmann auf dem Weg ins Stadtleben schützen, sondern er beschränkte sich auf den Hinweis des erhöhten Vorkommens von Fußgängerüberwegen und Einbahnstraßen

 

Destillate der Ölschieferschwelung...

Nicht für den Fahranfänger, sondern den routinierten Kraftfahrer als Leser wurde ein anderes automobilliterarisches Werk geschrieben: Die Betriebsanleitung für den L/LA/LP 710; L/LA/LP 911. Hier erfährt der Lenker alles über die geeigneten Treibstoffe: "Auch reine Destillate der Ölschieferschwelung können zur Verwendung kommen." und darf sich aus drei Seiten Betriebsstoffvorschriften die ihm genehme Ölsorte aussuchen: "Acmos; Adrumol; Aerolene; Aero-Line; Agip; Agronil; Aixol; Allianz; Amalie...". Manchmal liest sich das heute mehr wie die Warenbezeichnung eines Handtuchhalters bei Ikea: "Fruntol". Oder wir finden den Hinweis auf die Notwendigkeit regelmäßiger Ölwechsel: "Freitagol". Das schon genannte "Amalie" würde einen wunderbaren Kindernamen abgeben, ebenso wie "Wiolin" oder "White Rose".

Von ähnlicher ästhetischer Qualität sind auch die Grafiken, welcher der Illustration der Abschmierpläne dienen. Eigentlich eine recht profane Arbeit mit der handfesten Fettpresse, zeigen fein gezeichnete Linien in mit Bedacht gewählten Farben auf der Aufklapptafel dem Fuhrmann, wo er sein Werkzeug anzusetzen hat. Auch für die Fahrzeugelektrik steht ein vergleichbar ansprechendes Centerfold zur Verfügung. Fehlenden Inhalt, so ein alter Diesel-Lkw hat weniger Elektrik und Elektronik aufzubieten als heute ein normaler Fensterheber, macht die Darstellung des Schaltplans durch liebevoll gezeichnete Details mehr als wett. Wer auf diesem Plan das Kabel zu den Scheinwerfern nicht findet, dem ist kaum noch zu helfen.

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