Ein kleiner Motor, der auszog, den Großen das Fürchten zu lehren

Zwei Fäuste für ein Halleluja

Text: Eberhard Weilke
Bild + Grafik: Citroen Pressematerial, Internetfunde

 

Es gab einmal einen kleinen Boxer, der zu Höherem bestimmt war. Dessen eigentliche Aufgabe die Basismotorisierung der breiten Massen sein sollte, der sich aber dennoch bis in himmlische Höhen drehen ließ. Der französische Landpostboten zuverlässig über das Land brachte, mit dem jedoch auch Generationen von Studenten ihre Mobilitätsbedürfnisse zwischen Uni, Wohnheim, Mutters Waschmaschine und dem Hindukusch befriedigten.

 

Ihr habt es sicher erraten: Der luftgekühlte Entenmotor ist unser Kandidat für das Leistungssegment bis 35 PS. So unauffällig, wie er vor sich herschnattert, so stecken doch beste Gene in ihm. Sorgfältig gewählte Werkstoffe sorgen für Drehzahlfestigkeit und Haltbarkeit, nicht wenige legten 200 – 300 tausend Kilometer zurück, dauerhaft unter Volllast gescheucht. Dabei fühlt sich der Boxer sogar dann am wohlsten, wenn es richtig zur Sache geht. Gemütliches Rumtuckern in der Stadt schafft Probleme mit verrußten Kerzen und es wird auch bei nur wenigen Motoren in der Automobilgeschichte in der Betriebsanleitung vor niedrigen Drehzahlen in der Einfahrtzeit ausdrücklich gewarnt. Sie solle auf keinen Fall unter 3500 U/min. fallen, wenn der Motor neu ist!

 

Als Kurzhuber ausgelegt, hält sich die maximale Kolbengeschwindigkeit im erträglichen Rahmen, die Nockenwelle läuft immer gut geschmiert in der Ölwanne und die federleichten Stößelstangen neigen auch weit jenseits der 6000 U/min. nicht zu flatterhaftem Verhalten. Die dachförmigen, fast hemisphärischen Brennräume mit V-förmig angeordneten Ventilen erlauben einen schnellen Gaswechsel und effiziente Verbrennung, man merkt, das Walter Becchia, der ab 1941 dem Motor die Serienreife anerzog, zuvor bei dem Luxuswagenhersteller Talbot reichlich Erfahrung mit technisch aufwendigen Sportmotoren machen konnte, so zum Beispiel im Talbot Lago T150 SS.

 

Als waschechter Boxer mit gutem Massenausgleich legt der kleine Kämpfer bei seiner Arbeit ein recht geschmeidiges und vibrationsarmes Laufverhalten an den Tag und bietet, dank der langen Ansaugrohre durch die zentrale Lage des Vergasers mitten auf dem Motor, auch ein relativ breites nutzbares Drehzahlband. Natürlich, wer jetzt von einem Jaguar 12-Zylinder sich dem Thema nähert, wird diesen Ausführungen nicht ganz folgen können, aber wer zum Vergleich den zeitgenössischen Twin aus dem Fiat 500 heranzieht, wird neue Sphären der Laufruhe entdecken. Während der Boxer locker und lässig sich ausdrehen lässt, rumpelt der Fiat im Leerlauf wild umher, dreht beim Beschleunigen ein wenig hoch und verliert dann aber recht schnell wieder die Lust am enthemmten Vortrieb.

 

Viele herkömmliche Motorenprobleme wurden durch gezieltes Weglassen der Komponenten vermieden. So gibt es keine Zylinderkopfdichtung, die durchbrennen kann, die Köpfe liegen in einem Konus auf den Zylindern auf. Einen Verteiler sucht man vergebens, es zünden immer beide Kerzen, eine entzündet das Gemisch, auf der anderen Motorenseite funkt es ins Abgas. Es gibt keine Wasserpumpe, keinen Thermostat (der Fahrer ist angewiesen, im Winter eine Abdeckung auf den Kühllufteinlass zu stecken), keine Steuerkette, keinen Zahnriemen, es gibt eigentlich nichts, was nicht unbedingt notwendig ist. Die Wartung ist dadurch ein Kinderspiel und sorgt, wenn regelmäßig durchgeführt, für einen sehr zuverlässigen und störungsfreien Betrieb. Die Ventile lassen sich in einer halben Stunden einstellen, der Könner demontiert dazu noch nicht einmal die Kotflügel, die aber selbst in drei Minuten komplett abgeschraubt wären. Und wenn man schon dabei ist, sind zwei neue Kerzen mit wenigen Handgriffen montiert und schützen vor winterlichem Ungemach mit, richtig, verrußten Kerzen. 

 

Ein klein wenig trickreich gestaltet sich der regelmäßig notwendige Wechsel des Unterbrecherkontakts. Ist dieser länger als 10 tkm im Auto, ist auch dann das Startverhalten im Winter nicht mehr einwandfrei. Doch selbst wenn die Batterie leergeorgelt ist, geht es weiter: Der Radmutternschlüssel lässt sich in seiner Zweitverwendung als Anlasserkurbel einsetzen. Als Drittverwendung lassen sich mit der Kurbel alle Kotflügelschrauben lösen, klarer Beleg, dass man in Paris auch die simplen Dinge gerne bis zu Ende dachte.

 

Der Unterbrecher selbst steckt in seinem Kästchen hinter dem Lüfterrad. Mit vier Schrauben ist das Gitter demontiert, dann dreht man mit einem Steckschlüssel die Schraube des Lüfterrads heraus und knackt mit einem gezielten Schlag seitlich auf den Steckschlüssel das Lüfterrad vom Konus auf der Kurbelwelle. Das dann notwendige Einstellen des Zündzeitpunkts ist wieder so eine Prozedur, die in ihrer Exotik den gemeinen deutschen Mechaniker gerne überfordert. Eine Prüflampe zwischen Zündspule und Masse geschaltet muss ausgehen, wenn ein Schraubendreher, der durch das Loch im linken oberen Arm der, sagen wir mal, "Kupplungsglocke" gesteckt, das entsprechende Loch in der Schwungscheibe findet. Durchblick verloren? Ihr seid nicht allein...

 

Trotz der hohen Ansprüche, die der Motor an Bediener und Mechaniker stellt, war dem kleinen Boxer eine lange und erfolgreiche Karriere bestimmt. Die ersten, im Jahre 1936 konstruierten „Toute Petite Voiture“-Prototypen* (zu deutsch „ganz kleines Auto“), debütierten noch mit BMW-Motorradmotoren, der Legende nach soll das allererste Exemplar dem privaten Motorrad vom Citroen-Designer Flaminio Bertoni entnommen worden sein. Dieser Motor zeigte jedoch nur eine geringe Standfestigkeit, fortan fand sich ein selbstentwickelter, wassergekühlten Motor mit acht PS unter der schrullig geformten Haube. Das auf dem Pariser Salon am 6. Oktober 1948 vorgestellten Modell jedoch wurde wieder durch einen auf neun PS erstarkten, luftgekühlten Boxer angetrieben, der in seinem Grundlayout bis 1990 gebaut werden soll. Zum Serienstart gab es dann noch einen elektrischen Anlasser als Dreingabe sowie die dringend benötigten Produktionsanlagen, die zur Messepremiere schlichtweg noch nicht fertig waren...

 

Der Motor kam in allen sogenannten „A-Modellen“ zum Einsatz und erlebte über die Jahre eine wahre Leistungsexplosion: Mit 9, 16, 21 bis hin zu 28,5 PS (der Hubraum wuchs von 375 über 425 auf sagenhafte 602 cm³) gehört der 2CV zu den wenigen Automobilen, deren Motorleistung sich über die Jahre verdreifachte! Der Motor kam in der Kastenente und Acadiane zu Lieferwagenehren, trieb den Entennachfolger Dyane an und erlebte mit satten 32 PS in Ami 6, AMI 8 und LN seinen ersten Leistungszenit. Zur vollen Blüte kam der Boxer dann im LNA und ersten Visa: Mit elektronischer Zündung, 652 cm³ Hubraum, drei Kurbelwellenlager und hoch verdichtet stemmte er mächtige 48 Nm aus den zwei hier nikasilbeschichteten Zylindern und war imstande, 35 PS zu leisten! Allerdings gelten diese Kraftwerke mit Registervergaser in der Citroenszene mit einem Verbrauch von 6,5 bis 7 l/100 km als geradezu versoffen. Auch dies ist natürlich wieder eine Frage der Perspektive: Während das Verbrauchswerte sind, von denen ein Großteil der Autofahrer damals nur träumen konnten, war die 21 PS-Version bei richtiger Fahrweise auch mit 5 – 6 l/100 km zufrieden

 

Selbst im Gelände macht der Boxer eine gute Figur: Zum einen natürlich in der legendären Sahara-Ente, bei der ein Motor an der Vorderachse und ein Motor an der Hinterachse für unaufhaltsamen Vortrieb sorgten. Zum anderen im Mehari, der für das Militär entwickelt seine eigentliche Berufung jedoch als südfranzösisches Strandfahrzeug fand und heute astronomische Liebhaberpreise erzielt. Doch auch die normale Ente zeigte mit Roger Moore am Steuer große Nehmerqualitäten im Gelände, gelang es ihr doch, in "For your eyes only" allen grimmig blickenden Peugeot 504 besetzt mit grimmig blickenden Gangstern zu entwischen. Ob es ironischer Seitenhieb des Drehbuchautors auf den Spottnamen des "fahrenden Schirms" war, dass uns`Roger unmittelbar davor mit Hilfe eines Sonnenschirms das Anwesen von Aristotle Kristatos verließ, die Antwort auf diese Frage hat der Drehbuchschreiber Richard Maibaum mit ins Grab genommen.

 

Die Idee eines leichten, einfach aufgebauten und preiswert zu produzierenden Wagens für Entwicklungsländer verfolgte Citroen mit lokalen industriellen Partnern in vielen Märkten, den Antrieb lieferte in allen Fällen der luftgekühlte Boxer. Die ideellen Vorläufer des Citroen FAF (Facile à Fabriquer en Facile à Financer ; zu deutsch : leicht zu fabrizieren, leicht zu finanzieren) liefen im Iran als „Baby-Brousse“und  „Jyane-Mehari“ vom Band, in Vietnam als „Dalat“, in Griechenland als „Namco Pony“, in Spanien, Portugal und Chile als „Yagán“ sowie in Belgien als „Emmet“. Nicht verschwiegen werden darf, dass der Yagán bis unter die Zähne bewaffnet nach dem chilenischen Putsch für Allende Kriegsdienst verrichtete.

 

Auch die Ente selbst wurde weltweit produziert: Im Iran als „Jian“ (nach der Revolution übrigens unabhängig von Citroen), in Indonesien, in Argentinien, in England und Belgien.

 

Im elsäßischen Schirmeck im Herzen der Vogesen hat ein sehr rühriger Entenclub ein ausgezeichnetes Museum zusammengetragen, in dem wir den Motor als Antriebsquelle von Kleintraktoren, von Sportwagen wie Bijoux und Lomax und als Flugzeugmotor finden.

 

Doch eigentlich ist der Entenmotor kein Kandidat für das Museum. Autos mit diesem Motor haben sich über mehr als vier Jahrzehnte prächtig verkauft, insgesamt dürften etwas mehr als neun Millionen Boxer das Werk verlassen haben. So war es auch nicht die fehlende Nachfrage, die 1991 das Ende für die Ente brachte, sondern die ständig wachsenden Anforderungen an Crash-Sicherheit und Abgasverhalten, denen das Auto nicht mehr gewachsen war. An Zuverlässigkeit jedoch hat es dem robusten Motor nie gemangelt: Schon in den 50er Jahren finden sich Berichte über astronomische Laufleistungen, so legte ein gewisser Monsieur André Le Bris aus Machecoul im Departement Loire-Atlantique zwischen 1956 und 1960 mehr als 402 000 km mit seiner Ente zurück, bis auf einen Wechsel der Ventile und die üblichen Wartungsarbeiten ohne besondere Vorkommnisse.

 

Vorstellung des Entenmuseums Schirmeck auf citroenchen.de

 

*von den vermutlich 250 gebauten TPV-Prototypen sind fünf Überlebende bekannt. Erst 1994 wurden drei Stück, von den Mitarbeitern gut versteckt und so der Verschrottungsanordnung entgangen, im Testzentrum La Ferté-Vidame wiedergefunden!

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