Der Wolf im Pudelfell

Text: Eberhard Weilke
Bild: Pressematerial Volkswagen

 

Volkswagen hat eine gewisse Tradition, Motorenkonzepte auf den Markt zu bringen, auf die andere Ingenieure nie im Leben gekommen wären. Fünfzylinder, V-förmige Reihen-Sechszylinder, V-förmige Reihen-Fünfzylinder, die Dynastie der komischen Konstruktionen lässt sich eigentlich bis zum Käfer zurückverfolgen.

 

Besonders ausgeprägt tritt das immer dann auf, wenn man nach Höherem strebt, heraus aus der angestammten und dem Namen "Volkswagen" eigentlich gerecht werdenden Mittelklasse. Wir erinnern uns an den VW 411 E mit Bosch D-Jetronik, der völlig problemlos den Verbrauch einer S-Klasse nachempfinden konnte, aber dennoch immer ein etwas verunstalteter Käfer mit Heckmotor und herausforderndem Fahrwerk blieb. Später holte man für Santana und Passat bei den Kollegen aus Ingolstadt einen Reihen-Fünfzylinder, der zwar durchaus eine schöne Drehmomentcharakteristik aufwies, dessen Brummigkeit aber jeder nachvollziehen kann, der versucht hat, fünf durch zwei zu teilen*. Auf dieses Abenteuer folgte ein VR6 Motor, der sich wohl irgendwie in einen Golf-Motorraum stopfen ließ, den aber immer Dichtigkeitsprobleme an seinem schrägen Zylinderkopf plagten und der eigentlich nichts besser konnte, als ein gut konstruierter Vierzylinder.

 

Meist hatte bei diesen Ideen ein Porsche die Hände im Spiel. Entweder Ferdinand Porsche (beim Käfermotor) oder sein Neffe Ferdinand Piёch (beim ganzen Rest). Ich möchte sogar so weit gehen, dass immer dann, wenn bei VW ein Motor richtig gelungen erscheint, dieser eher als Kuckuckskind aus einem Konzernzukauf untergeschoben wurde, beispielsweise der EA 827, den vier Ringe auf dem Gusskörper des Motorblocks zierten.

Jetzt kommen bestimmt gleich Stimmen: "Der Reihenfünfzylinder, der kommt doch auch von Audi!". Ja schon, aber wer war denn damals Entwicklungsleiter in diesem Haus?

 

Die Krone der sinnbefreiten Konstruktionen aufgesetzt hat aber erst der W8. Die Idee war bestechend: Einen Achtzylinder zu bauen, der extrem kompakt auch in den kleinsten Motorraum passt, bei dem viele Teile auf Werkzeugen gefertigt werden können, die für die Produktion der VR5 und VR6-Motoren eh schon in der Halle stehen und der mit seinem technologischen Anspruch signalisiert, dass auch ein Volkswagen in der High-tech-Liga mitspielen kann. Dieser Motor sollte das technologische Sahnehäubchen des Phaeton werden, dem ambitionierten Versuch aus Wolfsburg, auf dem Markt der Oberklasselimousinen mitzuspielen. Geistiger Ziehvater hinter diesem Plan war, bitte jetzt nicht überrascht sein, auch wieder Ferdinand Piёch.

 

Aber irgendwie ist das alles dann doch schief gelaufen und herausgekommen ist aufwendig konstruiertes Mittelmaß. Im Prinzip handelt es sich um zwei VR4-Motoren mit einem Zylinderwinkel von 15°, die im Winkel von 72° auf einem gemeinsamen Kurbelgehäuse stehen. Der Vorteil der Konstruktion ist die kompakte Bauweise, so ist der Motor etwa so lang wie breit. Dem gegenüber stehen dann ein paar Nachteile: Die Laufruhe eines V8 lässt sich so nicht erzielen, es handelt sich eher um zwei ruckelige VR4, die miteinander kämpfen. Ein wenig in Schach gehalten wird das alles durch zwei Ausgleichswellen, welche die mechanische Reibung erhöhen und der Drehwilligkeit natürlich im Weg stehen. Die mechanische Ballast erhöht auch das Motorengewicht. Zwar verkündet VW stolz, dass der gesamte Motor nur 190 kg wiegt, das sind allerdings 5 kg mehr, wie ein Brot-und-Butter 5.7 Liter Smallblock eines aktuellen Holden bzw. Chevrolet auf die Waage bringt. Zum schwierigen Massenausgleich und dem Gewichtsproblem kommen dann noch thermische Schwierigkeiten durch die eng beieinanderstehenden Zylinder sowie eine Wartungsunfreundlichkeit, die mit Sicherheit noch den ein oder anderen Mechaniker in den Wahnsinn treiben wird. Im Passat-Motorraum nach der Kupplung zu suchen, ist bestimmt sehr spassig. Zwar drehen sich pro Zylinderkopf zwei Nockenwellen, von der technischen Eleganz eines BMW-Sechszylinders ist das aber meilenweit entfernt. Verstellbare Eingangsnockenwellen, Standard bei einfachen Alltagsmotoren anderer Hersteller, für eine bessere Füllung bei niedrigen Drehzahlen oder andere technische Schmankerl sucht man hier vergebens.

 

"Der Unterschied zu einem vernünftigen Sechszylinder ist leider kaum erkennbar", so Wolfgang Haussmann, ehemaliger Wirtschaftsminister, der für das Manager Magazin den W8 getestet hat. Entgegen der ursprünglichen Planung kam der Motor dann auch nicht im neuen Phaeton (der damals noch D1 heiß...) zum Einsatz, sondern wurde ausschließlich von September 2001 bis September 2004 in Limousine und Variant der Baureihe Passat zusammen mit dem Allradantrieb 4-motion angeboten. Trotz nominell 275 PS, 370 Nm und vier Liter Hubraum konnte das Gesamtpaket nicht überzeugen. Das Leergewicht von 1787 kg ist ja nicht wirklich nichts und mit drei Passagieren und etwas Gepäck war die Zweitonnengrenze gleich geknackt. Für die listenmäßig aufgerufenen 41 tausend Euro konnte man besseres kaufen, das dann auch vernünftiger mit dem Kraftstoff umging. Im Stadtverkehr dürfen es auch mal 19 l/100 km sein, natürlich nur vom feinsten Superplus mit 98 Oktan.

 

So blieb die Verbreitung dann auch stark begrenzt, trozt spektakulärer Produktpräsentation, bei der das Auto an einer Seilbahn hängend in den Schweizer Alpen bei Gstaad in 3000 Meter Höhe auf einen Gletscher geschafft wurde. Doch dort oben in der Oberklasse wird die Luft dünn, die Verkäufe kamen, abgesehen von den Vorführwagen für die Händler, nicht so richtig in Fahrt. Man berichtet von einer Anzahl Autos, die bei speziellen Einheiten verschiedener Polizeidienststellen geblieben sind, man sah schon Fahrzeug in der Hand von Stiftungs-Präsidenten in Liechtenstein und es sollen wohl vereinzelt auch Autos in den Garagen von Privatleuten gesichtet worden sein, die sich den gegen Ende der kurzen Modelllaufzeit gewährten Rabatten nicht mehr erwehren konnten und ein Auto mehr zum Haben denn zum Fahren brauchen. Ein nennenswerter Export, vor allem in den avisierten Markt in den USA, fand nicht statt. Dass der Passat W8 optisch von einem ganz normalen Vertreter-Passat mit tdi-Motor praktisch nicht zu unterscheiden war, wird viele potentielle Kunden sicher nicht besonders motiviert haben, in diese avantgardistische, aber letztendlich sinnbefreite Technik zu investieren. Fröhliche 200 – 300 Millionen Mark wurden für dieses Projekt verbrannt, bei noch nicht einmal fünfstellig gebauter Stückzahl hätte mal also jedem W8-Kunden als Premium-Zuschlag zu einem tdi-Passat noch einen Beetle drauflegen können und wäre günstiger gekommen.

 

Nach nur drei Jahren Bauzeit zog man den Stopfen und dieses bigsizing-Projekt fand ein Ende. Der Phaeton erhielt zur Einführung einen herkömmlichen V8 (und später V6, W12, V10) und der Passat fand zu seiner Rolle als Taxi-, Polizei- oder Vertreterkutsche zurück.

 

*kleiner Exkurs in die Motorentechnik: Bei einem Viertakter bedarf es immer zwei Kurbelwellenumdrehungen, um für jeden Zylinder die Takte Ansaugen, Verdichten, Zünden mit Arbeitstakt und Ausstoß des Abgas unterzubringen. Im Idealfall sollte deshalb die Zylinderanzahl immer durch zwei teilbar sein, damit das halbwegs rund läuft. Andere Regeln gelten beim Zweitakter, da läuft auch ein Dreizylinder schön seidig rund und Sieben- oder Neunzylinder sind als Zweitaktdiesel im Schiffsbau nicht unbekannt.

 

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